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Buncrana, Doagh Island, Portsalon
14. Juni 1999
Der Morgen ist trübe, das Frühstück kärglich, das Geschirr schön bunt, die
Untertasse gelb, die Tasse schwarz. Der Toast leider auch. Ich entferne die
Kohleschicht und danach ist er eßbar. Der Ruß bleibt auf der gelben
Untertasse, die Kellnerin beäugt ihn argwöhnisch. Um 75 Pfund ärmer für die
drei Nächtigungen fahre ich los. Es regnet heute nicht, ich fahre neuerlich
bei der ehemals modernen Kirche auf der Seitenstraße zum Grianan hinauf.
Oben angelangt, bin ich nicht allein. Eine Gruppe deutscher und
schweizerischer JournalistInnen wird herumgeführt. Werden wir demnächst in
der NZZ, der Süddeutschen etc. einen Reisebericht lesen? Abwarten.
Vielleicht auch im Dortmunder Volksblatt. Finster ist es leider, der Sturm
weht. Die Berge in der Ferne wirken heller als der Vordergrund, vielleicht
sind dort die Wolken weniger dicht oder ist es ein Regenschleier? Der
Wetterbericht in der Zeitung ist sybillinisch. Alles ist möglich, so wie
beim Lotto.
Richtung Buncrana fahre ich weiter. Am weißen Strand von Buncrana mache ich
Rast, im Schutz einer Umkleidekabine mache ich Kaffee. Es dauert, auch
hinter der Kabine bläst der kalte Wind gewaltig.
Von daheim ereilt mich ein Anruf übers Handy. Nichts hat sich verändert.
Auch in Österreich sind alle Politiker glücklich, sagen sie, über das
Ergebnis der Europa-Wahlen, gerade für ihre jeweilige Partei. Bloß die
Wähler sind daheimgeblieben, mindestens die Hälfte. Das Gespräch endet bald
danach, aber abrupt. Es beginnt zu schütten und ich flüchte mich ins Auto
und fahre in die Stadt hinein.
Dort werde ich schon beim Aussteigen patschnass, ehe ich noch den Schirm
gesucht und gefunden und aufgespannt habe. Ich spaziere die Hauptstraße des
Ortes hinauf und hinunter in des Wortes wahrem Sinn. Buncrana ist ein
trübseliges Städtchen, viele Geschäfte sind geschlossen, die
Arbeitslosigkeit besonders hoch, seit die Firma Fruit of the Loom nur mehr
mit halber Kapazität arbeitet. Marokkanerinnen sind noch billiger als
irische Hilfsarbeiterinnen und mehr als Hilfarbeiten sind nicht nötig zur
Herstellung von T-Shirts und dergleichen.
Auf einer Reklametafel des Fremdenverkehrsvereins sehe ich die örtlichen
Atraktionen, u. a. Doagh Island, das keine Insel ist, aber vor 3.000 Jahren
eine war. In der Zwischenzeit ist der Meeresarm verlandet. Damit habe ich
ein neues Reiseziel.
Vorerst aber geht es in starkem Regen am Kreisverkehr am oberen Ende der
High Street vorbei Richtung Dunree. Es dauert allerdings, bis der Herr im
Auto vor mir entscheidet, das von rechts kein Auto kommt, so lange er auch
wartet. Endlich abgebogen, parkt er sich gemütlich in zweiter Spur ein.
Warum nur reagieren diese Leute so langsam? Ich weiß schon, wenn sich jemand
in Irland an mich erinnern sollte, dann an den Autoraser im roten Auto. Aber
es ist wirklich erhebend, kilometerweit im 40 km-Tempo auf einer gewundenen
Straße mit Gegenverkehr hinter einem Langsamfahrer hinterher zu zotteln.
Dunree ist ein ehemaliges britisches Fort, von dem aus die Einfahrt in den
Lough Swilly überwacht werden konnte. Sehenswert ist vor allem die Aussicht
über den Lough bei schönem Wetter bis zum Fanad Head und bis Portsalon im
Westen. Ich biege statt dessen zum Gap of Mamore ab, fahre eine schmale,
schnurgerade und Kilometer weit gleichmäßig ansteigende Straße entlang. Fast
auf dem Pass angekommen, sehe ich vor mir einen Streifen blauen Himmels.
Oben angelangt, liegt vor mir das Land im Sonnenschein bis zum Malin Head im
Norden, klar erkennbar. Die Wolkenbänke über mir lösen sich langsam auf. In
vielen Kehren geht es jetzt hinunter, an Parkplätzen mit traumhafter
Aussicht vorbei, ins flache Land zwischen Clonmany und Ballycliffen. Die
Luft ist kristallklar, die Farben leuchten, es ist warm, was will ich mehr?
Die Mamore Cottages liegen leider noch im Schatten, leider, denn sie
verkörpern sozusagen das Urbild jenes Irlands, das die
Fremdenverkehrsmanager uns verkaufen: strohgedeckte, weißgekalkte,
ebenerdige Häuschen, kleine Fenster, Torffeuer, arme, aber glückliche
Menschen, die irisch reden, katholisch sind und von jeder Sünde frei. Schade
bloß, daß jeder Ire, so er kann, partout aus diesen Verhältnissen heraus
will und sich statt dessen einen Bungalow mit Zentralheizung,
Warmwasserversorgung, Kanalanschluss etc. baut.
Hinter Ballycliffen ist der Wegweiser zum Doagh Island Visitors Center nicht
zu verfehlen: ein Mittelding zwischen Hexe und Vogelscheuche und
entsprechender Text. Ich folge der schriftlichen Einladung und treffe wieder
auf die journalistische Reisegruppe. Das Zentrum selbst besteht aus mehreren
Cottages von unbestimmbarer Echtheit und zweifelhaftem Alter, in denen in
bescheidenem Ausmaß Szenen aus dem Alltag vor, sagen wir, 70 - 100 Jahren
dargestellt werden. Dahinter befindet sich das Famine Village, in dem
"Häuser" aus Torf und Grassoden nachgebildet sind, in denen das einfache
Landvolk um etwa 1840 gehalten wurde. Ach ja, Doagh Island und der ganze
Landstrich gehörten einem Lord Leinster, der gemeinsam mit dem Herrn Adair
(von Glenveagh) so wie viele andere Grundbesitzer auch für die evictions
seiner irischen Bauern sorgte, soweit die große Hungersnot nach 1845 die
Dinge nicht ohnehin vereinfachte. So beliebt war der Mann, daß seine Pächter
mehrfach versuchten, ihn zu erschießen. Um 1880 ist es ihnen dann endlich
gelungen. Der namentlich bekannte Täter konnte mangels Zeugenaussagen nicht
gerichtlich verurteilt werden.
Danach
versuche ich, nach der Burg Carrickabraghy zu suchen, von der mein
Reiseführer weiß. Ich fahre sozusagen endlos eine schmale Straße entlang,
habe schöne Ausblicke und schließlich hört die Straße bei einer Häusergruppe
einfach auf.
Da erst sehe ich auf einer Klippe über den Häusern einen halb verfallenen
Turm, vielleicht 6 Meter hoch und einer Grundfläche von 4x4 Metern. Ringsum
ein Steinhaufen aus zusammengefallenen Mauern. Das ist die Burg. Zweifellos
ist sie echt, auch ohne den bekannten Zementklops vom OPW. Sehenswert ist
sie dennoch nicht.
In herrlichem Sonnenschein geht es nach Letterkenny zurück, über Carndonagh,
Carrowkeel und Muff. Als ich am Grianan of Aileagh vorbeifahre, beschließe
ich, ihn auch einmal bei Sonnenschein zu besuchen: das erste Mal bei
Schönwetter.

Vor Letterkenny biege ich nach danach rechts ab. In Ramelton fotografiere
ich am versandeten Hafen eine Reihe alter Lagerhäuser aus unverblendetem
Granit mit schönen roten Türen. Mit den Bildern dieses Motivs in Geo oder
Merian, die ich vor Augen habe, werden sich meine Fotos nicht messen können,
leider. Erst an Ort und Stelle merke ich, daß die scheinbar einfach
geknipsten Fotos in der Zeitung sorgfältig arrangiert worden sind. Sie sind
vom anderen Ufer des Hafens gemacht worden (Privatbesitz und hinter hoher
Mauer) und sie zeigen mehrere, plakativ vor den roten Türen sitzende Gruppen
von Männern. So viel ich von früheren Besuchen weiß, hat kein Mensch Anlaß,
sich dorthin zu setzen, außer, der Fremdenverkehrsverein ersucht ihn darum.
Derart sorgfältig gestellte Fotos sind viel häufiger zu sehen, als man im
übrigen meint. Die berühmte Fotografin Dorothea Lange, die ein
unvergeßliches Foto einer Wanderarbeiterin mit Kind während der Depression
in den USA in den 30-er Jahren geschossen hat, machte eine ganze Serie von
Fotos dieser Frau mit Kind aus verschiedenen Positionen und Haltungen. Wie
sollte es auch anders sein, verwendete die Dame doch eine 2-äugige
Spiegelreflexkamera im Format 4x5 Inch, groß wie eine Schuhschachtel! Von
ihr gibt es übrigens auch einen sehenswerten Bildband über Irland in den
50-er Jahren.
Von Ramelton fahre ich nach Portsalon weiter. Vorher mache ich noch einen
Abstecher zu einer Burgruine am Castle Head und finde sie auch, aber auch
sie ist vom Kaliber der Burgruine auf Doagh Island. Zusätzlich hat ein
wahrer Techniker ihr einen Telefonmast aufgepflanzt und das romantische
Motiv vollends verhunzt.
In Portsalon haben sie seit Juni vorigen Jahres mit affenartiger
Geschwindigkeit weitere Reihenhäuser ans Meeresufer gebaut bzw. bauen sie
noch immer. Häßlich, wie sie sind, stehen sie allesamt leer. Ich möchte
überhaupt nur ein Haus: auf einer kleinen Felsklippe neben dem Clubhaus des
Golfplatzes, mit weiter Sicht aufs Meer. Leider hat das Haus schon ein
anderer. Wäre es anders, ich hätte ja ohnehin kein Geld für ein Haus. Aber
gelegentlich darf man doch träumen, oder?
Am kleinen Hafen quartiere ich mich in einer Kombination aus Bar ohne Gäste,
Shop ohne Kunden und Hostel ohne Touristen ein. Ich habe dort ganz gut
geschlafen, mehr ist dazu nicht zu sagen.
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