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   Westport und Achill Island
16. Juni 1999


Schön ist es am Morgen, und immer schöner wird das Wetter auf dem Weg nach Westport, in dem die Fassaden in allen denkbaren Farben strahlen, wie allesamt frisch gestrichen - was sie ja auch wirklich sind. Ich komme jetzt seit vielen Jahren jedes Jahr nach Westport, die Stadt wird immer bunter. Bunter geht es bald nicht mehr. Auch weniger bunt wäre Westport ein hübsches Städtchen. Westport ist eine auf dem Reißbrett geplante Stadt, geplant im 18. Jahrhundert von einem James Wyatt, weil dem damaligen Besitzer von Westport House, einem Lord Sligo, die alte Stadt im Wege war. Er wollte ungestört seinen Neigungen frönen: Jagen, essen, saufen, Kinderzeugen, Geld ausgeben. Schlecht? Immerhin, ohne diesen Herrn gäbe es das heutige Westport nicht. Manchmal hat auch das Schlechte seine guten Seiten. Und an der so genannten Mall liegt das Olde Railway Hotel, in dem man im Zimmer 209 übernachten kann, in dem angeblich auch der Dichter Thackeray geschlafen hat - so man gläubig ist. Teuer ist der Spaß halt leider.
westport2.jpg (27711 Byte)Bemerkenswerter ist die Mall selbst, die keine Einkaufsstraße ist, wie amerikanische Touristen gerne glauben wollen, sondern eine baumbestandene Allee rechts und links des hübsch eingemauerten Flusses Carrowbeg, der im Hafen von Westport in die Clew Bay und damit ins Meer mündet. Der Hafen selbst war noch vor einigen Jahren eine Ansammlung von Ruinen von Lagerhäusern. Neuerdings sind sie in Büros und Wohnhäuser umgestaltet worden und schauen jetzt zwar nicht gerade hübsch, aber wenigstens nicht mehr verfallen aus. Und vor dem Hafen rechts abgebogen, falls man aus der Stadt kommt, gelangt man zum Westport House samt Gartenanlage, in dem der heutige Lord Sligo wohnt und für die Butter aufs Brot sein Herrenhaus besichtigen läßt - für so teures Geld, daß er sich sicherlich eine sehr gute Butter leisten kann. Übrigens hat der Herr Vorfahre, der zur Zeit der Hungersnot Lord gewesen ist, eine der Familientradition durchaus entsprechende Rolle bei der Verköstigung seiner Untertanen gespielt. Dieses Wissen vergällt mir die Besichtigung des Herrenhauses, aber wer wissen will, wie so etwas gelebt hat, während sich in 5 Jahren die Bevölkerung Irlands von 5 auf 3 Millionen "verringerte", ist herzlich zur Besichtigung eingeladen. Ich habe das Herrenhaus ja auch einmal besichtigt, gestehe ich.

Von Westport fahre ich auf schlechter Straße nach Newport mit seiner eindrucksvollen Eisenbahnbrücke, die freilich vom Nichts ins Nichts führt. Als die Eisenbahnlinie aufgelassen wurde, wäre es zu teuer gekommen, die Brücke abzutragen, also hat man sie stehen gelassen. In der Stadt endet die ehemalige Trasse in einem Gemüsegarten, aber Eisenbahnliebhaber können den Platz und die Anlage des ehemaligen Bahnhofes durchaus noch erkennen.

Einige Kilometer hinter Newport biege ich links zur Burrishoole Abbey ab, schön gelegen und recht gut erhalten, sehenswert für den, der noch nicht genug Klosterruinen gesehen hat, mit interessanter Geschichte, wie mein Reiseführer behauptet. Da lese ich dann nicht weiter. Und nochmals biege ich ab nach links von der Hauptstraße und fahre zum Rockfleet Castle, einen viereckigen Turmbau, der einst ein Stützpunkt Grace O´Malleys gewesen ist, die selbst bei Elizabeth I. von Großbritannien ein freches Mundwerk gehabt haben soll.

Über Mulranny geht es sodann zum Achill Island, das eine echte Insel ist, auch wenn es einem nicht weiter auffällt, weil der Meeresarm, der die Insel vom Festland trennt, so schmal wie ein kleinerer Fluß ist. Bei der Brücke endete früher die Eisenbahnlinien von Newport her, deren Trasse man auf der Fahrt gelegentlich erkennen konnte.

Auf schmalen Straßen durchquere ich die Insel, sehe den Wegweiser nach Dugort, bemerkenswert nur deshalb, weil in Dugort in den 50-er Jahren die Familie Böll ein Haus als Sommerfrische gemietet und später ein anderes gekauft hat. Das ist noch immer in Familienbesitz, ganz unauffällig. Man kann vorbeigehen, wenn man wissen will, wie der Dichter auf Sommerfrische wohnte, aber sehenswert ist es nicht eigentlich. Böll freilich ist wichtig allein schon deshalb, weil er mit seinem Büchlein über diese Aufenthalte in Irland eine Art verklärtes Irlandbild der Deutschen geschaffen hat, das so nie richtig war, vor allem aber nicht vollständig. Wer sich vor Augen hält, daß in Achill erfolglos eine protestantische Missionsgesellschaft im 19. Jahrhundert die katholischen Bauern und Fischer bekehren wollte und dazu einen großen Teil der Insel aufkaufte, keel1.jpg (20653 Byte)um Druck ausüben zu können, der weiß, daß das Leben in Irland nicht lustig war, auch nicht so harmlos, wie von Böll dargestellt. Natürlich habe auch ich Bölls Buch gelesen - und wie enttäuscht war ich, als ich zum ersten Mal nach Irland kam und kaum mehr strohgedeckte Cottages vorfand, wohl aber die überdimensionierten Pappendeckelschachteln, in denen die Armen wohnten.

Von Dugort fahre ich durch den Ort Keel zum Strand von Keem; dort hört die Straße auf und gleichsam auch die Welt. Ich setze mich auf den Felsen oberhalb des Strandes und schaue aufs offene Meer hinaus. Kein Mensch ist zu sehen, nichts zu hören außer dem Kreischen von Möwen und dem Meckern der Schafe - das Rauschen der Wellen am Strand natürlich auch.

Auf der steil ansteigenden Straße fahre ich sodann zurück, auf dem Gipfel blicke ich auf Keel in der Ferne und auf Dooagh sozusagen zu meinen Füßen (alle Vergleiche hinken, ich weiß, zu meinen Füßen ist das Gaspedal etc.). Links oberhalb der Straße sehe ich das häßliche Gebäude, in dem einst Captain Boycott wirkte (der, welcher nicht nur unsere Sprache mit einem neuen Wort bereicherte). Dann fahre ich nach Keel zurück und biege wieder Richtung Dugort ab und nach zwei Kilometern nach links zum Friedhof, parke das Auto und wandere zum verlassenen Dorf oberhalb des Friedhofs hinauf. Nicht zuletzt dank Böll sind die Ruinen dieses im 19. Jahrhundert von seinen Bewohnern verlassenen Dorfes zu einem Anziehungspunkt für Touristen vom Kontinent geworden; nicht nur für diese.
 

keel2.jpg (31113 Byte)Eine Volksschulklasse erhält Geschichtsunterricht von ihrer Frau Lehrerin, aber sie hat Mühe, die Knirpse und Knirpsinnen zum Stillhalten und Zuhören zu bewegen und mehrmals ruft sie energisch Sit down, wenn einer es schon gar nicht mehr aushalten will. Was weithin als Deserted Village bezeichnet wird, beruht auf dem Buch von Böll. Natürlich haben die beiden Ortsteile richtige Namen, bloß verwendet sie keiner: Toir und Toir Reabhach.Richtig verweist sie auf die noch immer sichtbaren Konturen der Lazy Beds, der kleinen Hausäcker, auf denen Kartoffel angebaut wurden, richtig verweist sie auf die einheitliche Orientierung der Häuser mit der Türe an der windabgewandten Seite. Sie behauptet, die Häuser seien allesamt fensterlos, weil pro Fenster Steuer zu zahlen gewesen sei und steht vor einer Hausruine mit einem Fenster. Rauchfänge haben die Häuser wirklich nicht gehabt, der Rauch zog durch die Türe ab. Warum genau die Anlage aufgegeben wurde, weiß man nicht, zumindest sagt es auch die Frau Lehrerin nicht; wann das Dorf errichtet wurde, ist auch nicht sicher, jüngste archäologische Grabungen haben ergeben, dass die heutigen Hausruinen teilweise auf den Fundamenten früherer Bauten stehen, so dass man glaubt, die Siedlung habe schon vor 1000 Jahren bestanden. So sehr sich die Hausruinen auch heute ähneln mögen: sie sind zu verschiedenen Zeit errichtet worden und ihre Baupläne sind nicht identisch. Nicht nur die ausgesetzte Lage am Hang eines baumlosen Berghanges, die weite Sicht von den Ruinen aus ins flache Land zu Füßen, aber auch die schiere Größe dieser verlassenen Siedlung unterscheiden sie von allen anderen aufgegebenen Siedlungen, die man in Irland findet. Obgleich heute kein Haus mehr unbeschädigt ist, habe ich doch das Gefühl, dass ich gleichsam gegen ihren Willen in das Leben dieser Menschen eindringe, die hier einst lebten.

Beim Friedhof unten spielen sich Tragödien kleineren Ausmaßes ab. Ein Bus ist bis zum Parkplatz vorgefahren, aber umdrehen kann er nicht mehr und zurückfahren kann er auch nicht, denn ein PKW-Lenker hat sein Auto mitten auf der Straße abgestellt und ist davongegangen. Aber wie immer, mit Geduld und eigentlich ohne Aggressionen löst sich mit der Zeit auch dieses Problem.
Inzwischen habe ich den Motor gestartet, rolle zum Strand von Keem, mache den obligaten Spaziergang und möchte im Auto übernachten. Indessen ist die Irish Times voll von einem Raubüberfall zweier hoffnungsvoller Jugendlicher auf ein deutsches Pärchen, das auf einem Parkplatz nahe Killarney übernachtete. Binnen 12 Stunden sind die Täte gefaßt, den beiden Opfern reicht es aber, sie fliegen geschockt nach Hause. Das läßt mich nach einer Unterkunft sich umsehen, aber alle B&B in der Nähe sind entweder verschlossen oder passen mir sonst nicht. So fahre ich auf den Campingplatz hinter meinem ursprünglich vorgesehenen Standplatz am Strand, zahle 5 Pfund und darf mein Auto auf eine eingezäunte Wiese stellen. Ich dürfte für das Geld auch ein Zelt aufstellen, ich habe bloß keines, aber das macht den Vermietern nichts. Nicht nur ist der Sicherheit spendende Zaun bloß hüfthoch, er muss auch sonst wie undicht sein, denn in der Nacht erwache ich durch irgendwie schabende Geräusche neben dem Auto, hebe den Kopf und schaue eine Kuh an, die neugierig und wiederkäuend ins Auto blickt. Da lasse ich den Kopf wieder sinken und schlafe weiter.

 

 

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 ©Peter Lausch/Zuletzt bearbeitet: 20.11.2001