|
Wien bis Wattenheim
2. Juni 1999
Um 10,30 Uhr starte ich im Zentrum Wiens den Motor meines Toyota RAV4. Ca. 1800
Kilometer liegen vor mir, bis ich in Roscoff in der Bretagne ankommen werde. Das habe ich
zumindest so ausgerechnet.
Ich habe kontrolliert, ob ich Geld, Reisepass und Reserveschlüssel bei mir habe.
Alle Hände habe ich geschüttelt, die ich schütteln mußte im Büro.
Gutmenschen haben meine bevorstehende Abwesenheit bedauert (Motto: Was
werden wir ohne Sie tun?), andere Gutmenschen haben mir gesagt, jeder sei
ersetzbar und sie würden alles tun, damit ich nicht abgehe. Was sagt man da?
Ich sagte - nichts
Bis zur Westautobahn (A1) zieht sich der Weg, es sind zwar bloß 15 Kilometer, aber in
Wahrheit habe ich zahlreiche Baustellen zu überwinden und die Rote Welle, die gutmeinende
Stadtväter uns Wienern verpasst haben (wir würden sonst vielleicht schneller
vorwärtskommen als die öffentlichen Verkehrsmittel, das darf nicht sein). Aber alles
geht vorbei im Leben und ich erreiche schließlich die Autobahnauffahrt im Westen Wiens
und werde 3 Wochen lang nicht an Wiener Politiker denken.
Nach 2 Stunden bin ich in Linz, zweige dann auf die Autobahn Richtung Passau ab. Ich
hätte auch auf der A1 bis Salzburg weiterfahren können und dann über München in
Richtung Saarbrücken, aber die Fahrt über Passau ist kürzer und ich vermeide die
mißratene Umfahrung Münchens.
Zwischen Passau und Regensburg muß ich bei der Raststätte Bayerischer Wald auftanken,
trinke in der sauberen Raststätte einen Kaffe ohne zweites E, dafür aber durchsichtig
und geschmacklos und Kaffeeobers aus der Tube statt frischer Milch. Auf der Autobahn
fällt mir wie jedesmal aufs Neue die Eigenart deutscher Autofahrer auf: alle fahren sie
links, weichen nie aus, damit sie nur ja keiner überholen kann. Schließlich könnte ja
einer, wild blinkend und mit aufgeblendeten Scheinwerfern, daherkommen und schneller
fahren wollen als sie selber es tun. Ich selbst tue das, auf dieser Fahrt, natürlich
nicht. Lange Strecken wie diese fahre ich gerne mit 120 oder 130 km/h, da brauche ich mich
nicht übermäßig zu konzentrieren und komme dennoch weiter.
Nach Heilbronn mache ich schließlich auf einem Parkplatz Rast. Kaum habe ich den Motor
abgestellt, parken sich rechts, links, vor mir, hinter mir, die LKW einer Kolonne der
französischen Armee ein, 100 Meter gegen den Wind nach Diesel stinkend. Von den
Ladeflächen klettern so an die 100 französische Soldaten, die stinken zwar nicht nach
Diesel, dafür aber nach Gitanes und ihren Uniformen. Ihr Geruch erinnert mich lebhaft an
meine Zeit beim Bundesheer vor 35 Jahren.
Die Franzosen verleiden mir den Rastplatz. Ich fahre weiter Richtung Norden jetzt,
Richtung Frankfurt, Bonn, Hamburg, wie die Wegweiser künden. Dann die Abzweigung nach
Westen, Richtung Saarland. Schließlich der große Augenblick mitten in Hessen. Ein
Wegweiser kündet: Paris 500 km. Da fühle ich mich erstmals richtig im Urlaub.
Bei einem Motel in einer Raststätte parke ich mein Auto für die Nacht. Da habe ich schon
mehrmals übernachtet. Die Zimmer sind bescheiden eingerichtet, weiß ich, im Vorhinein zu
bezahlen, aber nach gebührender Wartezeit, weiß ich auch, denn die Kellnerinnen haben
Wichtigeres zu tun, als den bescheiden mit seinem Täschchen in der Ecke stehenden Wiener
zu beachten. Schließlich reißt sich ein Herr los von der zweifellos gewichtigen
Konversation, die er hinter der Theke geführt hat. Ich sage meinen Spruch auf: 1 Zimmer,
1 Nacht, 1 Person. Er sagt: 65 Mark und schiebt mir ein Anmeldeformular hin, das ich
ausfülle. Ich frage: Aktzeptieren Sie auch Kreditkarten? Und er sagt mit unbewegter
Miene: Nö. und schiebt mir einen Zimmerschlüssel hin. Das war´s. Kein Gruß, kein
freundliches Wort. Hat der Herr nicht nötig.
Das Zimmer ist spartanisch und abgewohnt. Das WC ist rein, stinkt aber nach Kloake.
Dürfte der Geruchsverschluß im Eimer sein. In den Gastraum zurückgekehrt, esse ich
einen Salatteller mit Salatsoße von Thomy. Die ist schön herauszuschmecken. Die
Kellnerin versteht mein Deutsch nicht recht. Das Gebäck, das ich verlange, setzt sie in
Erstaunen. Dabei will ich bloß statt des Graubrotes, das den Namen wahrhaft verdient,
eine Semmel. So sagen wir halt in Wien: Gebäck. Macht aber nichts, gibt es ohnehin nicht,
außer in der Tankstelle nebenan, wie ich vorher gesehen habe. Ich esse also Graubrot und
überlebe es, wie man sieht. Im Zimmer falle ich aufs Bett, hoffe auf tiefen Schlaf; ich
schlafe zwar, aber nicht tief. Nicht nur fahre ich die heutige Fahrstrecke in Gedanken
gleichsam nochmals, nein, gegen Mitternacht parkt sich ein Autobus mit jungen Leuten vor
meinem Fenster ein, die allesamt johlend, kreischend und offenkundig voll besoffen auf dem
Parkplatz herumrasen und einen Heidenlärm machen. Nach einer halben Stunde ist der Spuk
vorbei, bloß, ich bin hellwach. |