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Rosses Point, Sligo, Greedagh, Lake Arrow, Salthill, Knocknarea
9, Juni 1999

Autobus vorhanden, Frühstück daher zeitig. Heute warte ich nicht, bis die Herrschaften Autobustouristen den Speisesaal verlassen haben, nein, ich geselle mich zu ihnen. Der Saal ist zwar groß genug, daß ich an einem Tisch allein Platz nehmen kann - ich habe beim Kaffeetrinken gerne meine Ruhe, auch wenn der Kaffee nur Kaffe ist - dennoch setzt sich dann ein Paar zu mir und prompt redet der Herr auf mich ein.

Wo ich denn her sei, ist das Begehr. Wien, Österreich, sage ich kurz, aber da vergißt seine Gattin ihre weibliche Zurückhaltung und will wissen, ob ich aus dem Bezirk Favoriten bin, da ist nämlich ihre Mutter her gewesen. Nein, bin ich leider nicht, Wien ist groß und hat 23 Bezirke, aber das nützt mir nichts. Von einer Spinnerin am Weg schwärmt die Dame, die sie zwar nie gesehen habe, die aber schön sein solle. Gleich daneben habe Mutter gewohnt. Ich kann mir´s vorstellen, auch wenn es sich um keine Spinne und keinen weiblichen Spinner handelt, der auch nicht am Wege sitzt oder steht, sondern um ein Denkmal mit dem Namen Spinnerin am Kreuz. Ich kann mir auch den von der Gemeinde errichteten Wohnbau vorstellen, in dem Mutter wohnte. Sage ich, hätte ich aber nicht tun sollen. Denn jetzt prasseln - und dabei esse ich mein Frühstück - eine Vielzahl von Fragen auf mich herunter: Ob die Wiener die Amerikaner noch immer so gerne haben, ob noch immer überall Walzermusik erklingt, ob wir viele Kommunisten gehabt haben und wie ich es denn in der russischen Besatzungszone ausgehalten habe und ob wir nicht froh gewesen seien, daß es bei uns keine Mauer wie in Berlin gegeben habe. Was sagt man da? Ich bleibe höflich, spotte nicht, ich erzähle, nur wird mir leider der Kaffe kalt. Sie würde noch immer fragen, ich noch immer erzählen müssen, fürchte ich, bloß muß sie samt Gatten in den Autobus hinein. Sie sind ohnehin die Letzten. Zum Abschied versichert mir der Gatte, es sei eine sehr interessante und lehrreiche Unterhaltung für ihn gewesen. Für ihn?

In Sligo kaufe ich ein, danach überfällt mich ein Bedürfnis nach Kultur. Wahr ist nämlich, in der Stadt selbst gibt es eigentlich nichts, was als Denkmal oder Monument sehenswert wäre. Sligo ist eine alte Stadt, sie haben auch einmal eine Burg gehabt, doch dort, wo die Burg war, steht heute das großmächtige Rathaus (in Neugotik?): aus ist es mit dem Denkmal. Eine Sehenswürdigkeit haben sie jedoch tatsächlich in Sligo: Sligo Abbey, leicht zu finden, gleich auf dem Weg zu den Dunnes Stores. Nach denen fragen, bringt eher Erfolg, als nach der Abbey fragen. Laut meinem Führer gibt´s den Schlüssel zur eingezäunten Abbey im Haus gegenüber, aber die Zeit seit der Drucklegung ist fortgeschritten. Warum soll man den Touristen etwas schenken, wenn man Geld dafür verlangen kann. Also ist heutzutage das Gittertor tagsüber offen (tagsüber heißt: ab 9 Uhr natürlich) und der Eintritt kostet. Ich rümpfe die Nase und zahle, aber leider, viel, was man nicht von außen (gratis!) auch sähe, sieht man von innen auch nicht. Die Seitenmauern sind erhalten, ein dreiteiliges Fenster hinter dem einstigen Altar auch, aber das ist nicht aus dem 13. Jahrhundert wie der Rest, sondern später erst dazugebaut, sagt mein Reiseführer und ich glaube ihm, denn die Geschichte ändert sich ja nicht in den fünfzehn Jahren seit der Drucklegung. Mehr ist nicht vorhanden.

Dafür gehe ich entlang des Garavogue zurück, der die Stadt durchfließt. An seinen Ufern waren noch vor zehn Jahren lauter Ruinen von Lagerhäusern und dergleichen; heutzutage findet man bunt angemalte Geschäfts- und Miethäuser. Das Booknest finde ich auch, eine recht gut bestückte Buchhandlung, in der ich mir prompt die Lebensgeschichte einer Frau aus Aran von Bridget Dirrane kaufe (ihre eigene nämlich). Auf den Aran-Inseln ist sie allerdings nicht geblieben, sondern nach Amerika ausgewandert. Aber sie erzählt recht ausführlich von ihrer Jugend in einer uns völlig fremden Welt und von einer Armut, die man sich schwer vorstellen kann. Sie spricht mit Ehrfurcht von den Priestern, die sie kennengelernt hat; die Sunday Times hingegen hat berichtet, daß bisher 39 Pfarrer wegen sexueller Verfehlungen rechtskräftig gerichtlich verurteilt wurden, Anfang Juni erstmals auch eine ehemalige Nonne, die ihrem Geliebten beistand, ein ihr anvertrautes zehnjähriges Mädchen zu vergewaltigen. Der Nonnenorden zeigt sich erschüttert und kratzt sein Vermögen zusammen, weil eine Reihe anderer Männer und Frauen, die in ihrer Kindheit mißbraucht worden sind, den bereits angeklagten Nonnen Rechtsanwaltskosten im Strafverfahren verursachen wird. Und laut Irish Times sind bereits weitere fünf Schulbrüder wegen sexueller Verfehlungen an ihren Schülern und Pfleglingen vom Staatsanwalt angeklagt worden. Der Orden der Schulbrüder distanziert sich von seinen bekleckerten Brüdern, bittet die Opfer um Verzeihung und fürchtet insgeheim noch weitere Fälle. Lustig.

Bei meinem Auto auf dem Parkplatz hinter dem Supermarkt Quinnsworth steht der kleinste Polizist, den ich je gesehen habe, und prüft meine Parkkarte. Bin ich froh, daß ich rechtzeitig zurückkomme, was soll er mir schon tun, aber als Österreicher ..... Er ist freundlich, wünscht mir eine weitere gute Reise, also reise ich.

Im Internet habe ich eine recht hübsche Seite über einen Ort namens Geevagh südlich von Sligo am Ufer des Lough Arrow gefunden. Diesen Ort will ich mir anschauen. Das erweist sich nicht als so einfach, wie ein Wiener es sich denkt. Erstens verpasse ich südlich Sligo die richtige Seitenstraße. Die nächste, die ich nehme (ich habe ja einen guten Orientierungssinn, ich werde schon nach Geevagh finden), endet im Hofe eines Bauern. Der hat sichtlich aus Österreich noch nie Besuch erhalten, hilft mir aber, im engen Hof umzudrehen, ohne den Hund zu überfahren und ohne sein altehrwürdiges Haus, vulgo Bruchbude, zu beschädigen. Geknickt fahre ich zurück, sehe nach mehreren Kreuzungen das Hinweisschild Geevagh und fahre. Ich fahre und fahre, komme zu vereinzelten Gehöften, aber keinem Ort, frage schließlich und erfahre, ich war schon längst dort. Genau wird mir beschrieben, wie Geevagh ausschaut: dort, wo die große Baustelle ist. Die finde ich dann tatsächlich. Das Zentrum von Geevagh besteht offenkundig aus nur drei Häusern sowie derzeit einer Baustelle. Im Ort soll es drei Sehenswürdigkeiten geben, ich glaube es. Shancough Church finde ich nicht; die zweite, die wundertätige Quelle Tobar Aibhle suche ich erst gar nicht, ich würde sie ohnehin nicht finden: ein Loch im Boden, aus dem Wasser austritt mit heilkräftiger Wirkung, wenn man es trinkt. Als Zeichen der Heilkraft (gegen Kinderlosigkeit etwa) finden sich meist irgendwelche zurückgelassenen Löffel und Tassen und Stofffetzen an den herumstehenden Bäumen malerisch befestigt. Bei den besseren Quellen fast immer auch ein Napf, mit dem man das heilende Wasser schöpfen kann. Die dritte Sehenswürdigkeit aber suche ich. Sie ist so groß, daß sie zu finden sein muß. Auch das erweist sich nicht als einfach. Einen Wegweiser zur Ballindoon Abbey finde ich, doch dann mündet die Straße in eine Querstraße. Nach rechts, oder nach links? Ich fahre nach rechts und damit falsch. Im zweiten Anlauf, nach eifrigem Fragen (Fragen ist nicht schwierig, man muß nur jemandem finden, den man fragen kann) auf einem Bauernhof bei einer Bäuerin, der ich nicht ganz geheuer vorkomme, scheint mir, fahre ich wieder zurück und dann geradeaus weiter. Nach drei Kilometern sollte ich sie sehen, meinte sie. Es werden vier, aber das macht nichts. Da steht sie dann aber, die Ruine der Abtei. Nichts Besonderes, hübsch anzusehen. In irgendeinem Reiseführer muß sie aber als Besonderes angeführt sein, denn kaum bin ich stehengeblieben, parken sich französische Touristen ein, packen Kamera und Stativ aus und besichtigen die Abtei. Können Sie auch, so Sie wollen.

Solcherart gebildet, fahre ich zum Lake Arrow hinunter, picknicke auf einem Parkplatz und fahre dann Richtung Westen zurück auf die Hauptstraße. In Collooney südlich Sligo zweige ich Richtung Salthill ab, fahre aber nicht in den Ort, sondern, weil ich mich verfahre, auf einer Seitenstraße am Hang des Berges Knocknarea mit schöner Aussicht nach Süden. Unter anderem sehe ich unter mir auch die frühzeitliche Anlage von Carrowmore, ich selbst komme dann aber zu einem Parkplatz, vom dem aus man auf den Gipfel des Knocknarea aufsteigen kann. Tue ich. Es wird ein mieser Aufstieg auf feuchtem Gras und über Geröll, abwechselnd. Auf dem Gipfel angelangt, habe ich freilich eine wunderschöne Aussicht, nach Norden sehe ich bis Donegal, zu meinem Füßen die Halbinsel Rosses Point mit der Muschelinsel und Coney Island. Drehe ich mich nach Süden um, sehe ich die weite, ebene Landschaft rings um Ballysadare und eine Bergkette am Horizont, deren Namen ich nicht weiß. Aber hübsch anzusehen ist sie. Höhepunkt ist allerdings Queen Maeves Tomb, ein gewaltiger frühzeitlicher Steinhaufen auf dem eigentlichen Gipfel des Berges. Der Volksmund meint, die sagenhafte Queen Maeve sei darunter begraben, die Wissenschaftler meinen, begraben sei da wohl wirklich wer, aber sicher nicht Queen Maeve, sondern ein Mensch (oder mehrere) aus der Frühzeit. Genaues weiß man indessen nicht, denn der Grabhügel ist noch nicht wissenschaftlich erforscht. Außerdem gibt es noch einige kleinere Grabhügel in der Nachbarschaft, da wollten offenbar einige möglichst nahe dem Großen im Grabe ruhen. Hoffentlich hat es ihnen etwas genützt.

Dmidden.jpg (37481 Byte)er Abstieg ist nicht angenehmer als der Aufstieg; zwar geht mir dabei nicht die Luft aus, dafür tun mir aber die Knie weh. Immerhin, seit 15 Jahren komme ich regelmäßig nach Sligo, immer habe ich den Knocknarea gesehen, diesmal war ich oben.

Danach fahre ich doch in Richtung Salthill. Auf meiner Karte ist ein midden eingezeichnet, der Herr Burenhult schreibt auch von ihm, dort will ich hin. Die Zufahrt ist nicht einfach, die Wiese ist mit Stacheldrahtverhau gesichert. Die nächste Zufahrt führt zu einer Häusergruppe und zum Strand, den entlang ich zu der auf der Karte eingezeichneten Stelle wandere.

Dort finde ich den Midden tatsächlich, einen recht unauffälligen Erdwall, wie viele andere auch. Nur besteht er nicht aus Erde, sondern aus den leergegessenen Muschelschalen, welche die frühzeitlichen Bewohner Carrowmores und Umgebung dort weggeworfen haben. 100 Meter lang, mehrere Meter breit, bis 5 Meter hoch, um das an Muschelschalen zusammenzubringen, muß man eine Weile fleissig Muscheln essen. Aber es ist unbestreitbar so gewesen. Warum die Leute offenkundig hunderte von Jahren die leergegessenen Muscheln ausgerechnet hierher geworfen haben, bleibt mir zwar unerfindlich, aber wenn die Wissenschaft so etwas behauptet, was soll ein Lausch dagegen sagen? Nichts.

Am Abend dann setz´ ich mich dann im Hotel in die Halle. So hübsch mein Zimmer ist, es ist leider nicht geheizt, und unten in der Halle ist es warm. Eine Tasse Kaffe trinke ich, weil ganze Kannen voll samt Tassen bereitstehen, aber ich denke, der Kaffe war mehr für die Autobustouristen, die jetzt autobusweise eintrudeln. In Ardara waren sie und anderswo, erzählt mir der Abkömmling Favoritens begeistert und der Ehemann nickt bloß geschafft. Und gekauft habe sie ja schöne Sachen und zeigt mir einen violetten Pullover mit gelben Streifen und eine dunkelblaue Pudelhaube für den Herrn Gemahl. Ich bin beeindruckt. So begeistert sie auch ist von ihren Einkäufen und von Irland allgemein - der Herr Gemahl stammt ja von hier, wenngleich genau gesagt nur die Großeltern, und von wo, weiß er auch nicht recht - den Wiener läßt sie sich nicht entgehen. Die Mama hat sich bei einem Ausflug aus der russischen Besatzungszone in die amerikanische offenbar in einen G.I. verknallt, er sich in sie auch, sie haben geheiratet, als die Tochter bereits unterwegs war und er hat dann beide zurück in die Vereinigten Staaten genommen. Wie ich es denn unter den Russen ausgehalten habe, will sie wissen? Daß sie kleine Kinder wie mich nicht gefressen haben und Frauen nicht reihenweise vergewaltigt, wenn sie nicht betrunken waren, kann sie nicht glauben. Daß bei uns in der Wohnung an der Donau im April 1945 russische Marineinfanterie einquartiert war und meiner Mutter nichts antat, außer mit dem Bajonett in jedes volle Marmeladeglas hineinzustechen, kann sie erst recht nicht glauben, aber ich bleibe beharrlich dabei. So war es. All das bereden wir inzwischen im Speisesaal, denn dorthin habe ich mitgehen müssen, obgleich ich nichts essen will. So schaue ich ihnen zu, wie sie klangvoll klingende Speisen mit fantasievoll benamsten Soßen essen und in Wahrheit gegrillten Seehecht aus der Tiefkühltruhe mit bräunlicher Einbrennsoße. Sogar der Fruchtsalat mit Dosenpfirsich hat einen hübschen Namen (Macedoine). Zum Abschied laden sie mich beide zu sich nach Des Moines ein, dort sind sie her, falls ich je hinkommen sollte. Danke.

 

 

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 ©Peter Lausch/Zuletzt bearbeitet: 20.11.2001