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   Doe Castle, Dunfanaghy Workhouse, Bloody Foreland, Letterkenny   
12. Juni 1999


Frühstück um 8 - früher gibt´s nix, leider. Sonst gibt´s auch nix in Letterkenny, auch keine Zeitungen, die Geschäfte öffnen erst um 8. Dann wären zwar die Zeitungen da, aber am Samstag besteht eine jede aus mehreren Einlagen und die müssen erst eingeordnet werden. Frühstück ist kümmerlich, das Geschirr zwar Steingut in bunten Farben, aber auf dem schwarzen Teller liegen nur zwei Scheiben Frühstücksspeck (Rashers), klein wie von einem Ferkel (bestenfalls) und das in Fett schwimmende Spiegelei muß von einer Taube sein. Außer mir speisen noch 3 Gäste fein.
Im Letterkenny Shopping Center am Rand der Innenstadt kaufe ich danach Verpflegung. Vor dem Supermarkt macht ein Fotograf routiniert Fotos von kleinen Kindern, die ihm die stolzen Mütter hinhalten. Ein passender Hintergrund wird von der Rolle gezogen, Teddybären und Spielzeugautos hingelegt, der Junior oder die Juniorin, je nach dem, lächelt verzückt, der Fotograf rasselt mit einer Rassel, JuniorIn blickt fasziniert auf die Rassel - klick. Bild in einer Stunde fertig, JuniorIn entfernt, neue(r) JuniorIn hingesetzt - das Geschäft läuft gut. Es lief auch schon voriges Jahr gut und vor zwei Jahren, wie ich von früheren Urlauben weiß. Allmählich müssen doch alle stolzen Mütter von Letterkenny und Umgebung ihre sämtlichen Kinder vorbeigebracht haben. Offenbar gibt es aber noch immer welche - und immer wieder neue - die noch nicht abgelichtet wurden.
Durch die Hauptstraße fahre ich sodann nach Westen, bei den Dunnes Stores biege ich nach rechts ab, Richtung Churchhill. Der Weg ist ausgeschildert, Richtung Glenveagh National Park und Glebe House. Ich will zu einer dazugehörigen Attraktion, dem Colmcille Heritage Center, im Reiseführer lebhaft gepriesen. Trotz der Hinweisschilder tue ich mir schwer, die Ortsnamen sind auf irisch und die englischen Namen sind schwarz übersprüht. Auf einem Güterweg fahre ich endlich zum Ufer des Lough Gartan, an dem die Attraktion liegt. Ich finde den auf alt getrimmten und daher mit Granitsteinen verblendeten Neubau völlig verlassen vor, kein Mensch, kein Auto, die Vögel zwitschern. Als ich weiterfahren will, parken zwei Holländerinnen ihr Auto und schon warten wir zu dritt, aber nicht lange, denn ein weiteres Auto rauscht herbei. Ihm entsteigt ein zartes Burli, noch halb schlafend, zerzaust, verspätet. Wir drei zahlen dem Jüngling je 1,5 Punt, danach dürfen wir die Ausstellung besichtigen.

Der heilige Columba hat auf der zu Schottland gehörigen Insel Iona ein Kloster gegründet und ist ganz zweifellos eine bedeutende Persönlichkeit gewesen, der einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung des Christentums in Irland und Schottland geleistet hat. Historisch ist er nicht leicht zu fassen, es ist nämlich nichts von ihm erhalten, gar nichts, was man herzeigen könnte. Wie erzeugt man in Irland eine Attraktion? Man macht einen Plastikabguß eines Hochkreuzes, man produziert ferner die Wachsfigur eines Menschen mit irischer Tonsur (Glatze mit Haarkranz ringsum) und kleidet sie mit modernen Stoffen so ein, wie sich die Leute zu Columbas Zeiten angeblich angezogen haben. Wieso man das weiß? In den Bilderhandschriften irischer Mönche finden sich Abbildungen derselben und ihrer Kleider. Diese Figur setzt man an eine Schreibtafel. Das ist es dann. So einfach. Damit kann man kein Heritage Center mit Touristen füllen, auch nicht in Irland. Also zeigt man die verschiedenen Arbeitsgänge zur Herstellung einer Handschrift, nämlich: 1. Eselshaut, 2. Schwarzes Pulver (Ruß) für die Tusche, 3. Rotes Pulver, 4. Blaues Pulver etc, für die Verzierungen, jedes Pulver in einer eigenen Schale, klar. Dazu das Dia einer Seite einer solchen fertigen Handschrift.

Jetzt also weiß der geneigte Besucher, wie man eine Handschrift erzeugt, nicht? Ach ja, die Geisteshaltung, die einen Menschen, der extrem kurzsichtig sein musste, um alle Details seiner Arbeit auch zu sehen (Lupen gab es leider noch nicht), Monate und Jahre zur höheren Ehre Gottes bei Regen und Kälte und mit klammen Fingern einen beschaulichen Text abzuschreiben, bei wenig Schlaf, bescheidenem Essen und vielen heiligen Messen zwischendurch, ach ja, die Geisteshaltung eines solchen Menschen kann sich der geneigte Besucher dazudenken, wenn er will. Die kann man ja in einer Schale oder einem Dia nicht zeigen. Aber dafür bekommt er Kaffee und Tee und Sandwichs, sollte er nach den Anforderungen der Ausstellung ein Bedürfnis dazu haben - heute leider geschlossen.

Um diese Attraktion sollte man einen Umweg machen.

Den Wegweisern zu des Heiligen Geburtsstätte folge ich nach dieser Ausstellung lieber nicht. Im übrigen ist Columba mangels Wundern und mangels Martyrium kein Heiliger, er heißt nur so. Von Kultur habe ich jetzt genug, daher folge ich auch den Wegweisern zum Glebe House nicht. Bilder von Picasso gäbe es dort, sagt jeder Reiseführer. Den Glenveagh National Park erspare ich mir überhaupt, da bin ich eigen. Ein gotisches Schloss aus dem Jahre 1870 liegt mir nicht und ein Alpengarten auch nicht. Ebenso wenig Bäume aus Neuseeland etc., die der Schöpfer des ganzen hier eingepflanzt hat. Dazu allerdings mußte Herr John Adair 200 Bauernfamilien von seinem Grund und Boden vertreiben, den sie bis dahin bewirtschaftet hatten. Sonst hätte er seine famosen ausländischen Bäume nicht anpflanzen können. Die 200 Familien, sofern sie die Überfahrt überlebten, durften dann in Amerika oder sonst wo eine neue Existenz gründen. Der Tüchtigste setzt sich eben durch im Leben. Wie nennt man eigentlich einen Menschen, der Bäume mehr liebt als Menschen? Philanthrop jedenfalls nicht. Und wenn Sie das nächste Mal Tabasco-Sauce verwenden, denken Sie an Glenveagh. Dessen Erzeuger kaufte das Ganze von Adairs Witwe und schenkte es Jahrzehnte später dem irischen Staat, als es den Tabascospross nicht mehr freute, jährlich von Amerika ins feuchte Irland zu reisen.

Auf vielen Seitenstraßen fahre ich bis zur Hauptstraße (N56) und fahre Richtung Creeslough und auf einer Seitenstraße zum interessanten Doe-Castle, das nichts mit Hirschen zu tun hat, sondern sich von einem irischen Wort ableitet, das etwas ganz anderes bedeutet. Was, habe ich mir nicht gemerkt, aber falls Sie hinkommen, vor demselben steht eine Tafel, auf der das alles erläutert wird. Im wesentlichen besteht die Burg aus einem Wehr(Wohn-)turm, an den um 1830 ein Wohntrakt angefügt wurde, ehe der Bau Mitte des 19. Jahrhunderts aufgegeben wurde. Von diesen Anbauten stehen nur mehr die Außenmauern, der Turm ist besser beisammen und wird eben restauriert. Häßliche Baugerüste verunzieren ihn, zuhause werde ich die Bilder am PC nachbearbeiten müssen. Das Betreten des Geländes ist verboten, ich überklettere Mäuerchen, Gittertore etc. und mache schließlich von der Bucht aus die erwünschten Bilder. Der Rückweg ließe sich abkürzen, der Zaun ist nicht unübersteigbar, aber der Grundeigentümer hat alle 10 Meter ein Schild angebracht: Beware of Bull. Zwar liegen die Rindviecher allesamt friedlich im Gras, aber wer weiß, vielleicht lauert doch irgendwo ein Stier und wartet auf den rechtsbrechenden Österreicher.

Auf dem Picknickplatz vor der Burg gibt es Mittagessen, wenn auch nicht so vornehm wie bei Engländers nebenan. Stilecht wird aus einem Weidenkorb das Essen ausgepackt und auf dem Tisch ausgebreitet. In so einem Korb transportiere ich höchstens meine Katze zum Tierarzt.
Nach dem Essen fahre ich nach Dunfananghy weiter mit hübschem Sandstrand, aber leider, in Dunfananghy regnet es. Keine Strandwanderung daher.

Am Ortsende sehe ich ein Hinweisschild: The Workhouse. Hundert Meter weiter sehe ich rechts zwei abschreckend wirkende Häuser aus grauem Granit mit Ruinengelände dahinter und Parkplatz davor.

Die hässlichen Häuser sind Mahnmale für eines der dunkelsten Kapitel der an solchen wahrhaft nicht armen Geschichte Irlands unter britischer Herrschaft. Errichtet wurden sie 1830 als Unterbringungsstätte für die Armen. Die aber sollten sich dort durchaus nicht wohl fühlen, sonst wären sie am Ende gar übermütig geworden. Daher wurden diese Arbeitshäuser mit Absicht kärglich ausgestattet, unbequem, mit Absicht hässlich. Wer dort unterkam, musste arbeiten. Wer nicht arbeitete, bekam kein Essen. Brot gab es ohnehin nicht,, pro Tag statt dessen mehrfach einen (kleinen) Teller Hafergrütze, zum Frühstück eine kleine Schale Buttermilch und mittags ein halbes Kilo gekochter Kartoffel (Kinder jeweils die Hälfte). Dafür mußten die Männer 16 Stunden am Tag arbeiten, das heißt, Steine klopfen (zu Schotter), oder alte Seile aufspleißen (zu Dichtmaterial für Segelschiffe mit hölzernen Rümpfen), die Frauen spinnen und weben. Die Kinder mußten nur 4 Stunden täglich arbeiten, dafür aber lesen und schreiben lernen, nicht viel, aber doch, damit sie es im späteren Leben zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft brachten (als Dienstboten und Mägde etc.). Ähnliches hatten ja wohl auch Hitler & Himmler mit den russischen Untermenschen vor, nach dem Endsieg, oder?

Während der großen Hungersnot zwischen 1845 und 1850 beherbergte dieses Arbeitshaus zeitweilig bis zu 600 Insassen, in einem teilweise erhaltenen Hintertrakt geschlichtet wie die Sardinen in mehreren Schichten (Etagen). Dabei durften die drinnen sich noch glücklich schätzen, denn die draußen hatten - gar nichts. Während über eine Million Iren verhungerte, wurden ganze Schiffsladungen voll Getreide und Schlachtvieh nach England exportiert, gleichzeitig aber auch ganze Schiffsladungen halb verhungerter Iren in den so genannten Coffin Ships nach Kanada verschickt. Aber das ist eine andere Geschichte. Die Toten werden nicht wieder lebendig, wenngleich schon nach 150 Jahren ein englischer Premierminister (Blair) den Anstand hatte, sich für die begangenen Fehler bei der Bekämpfung der Hungersnot in Irland zu entschuldigen.
Das ist der historische Hintergrund der Ausstellung. Was sie so eindrucksvoll macht, ist meiner Meinung nach die Idee, die Verhältnisse an Hand von Situationen aus dem Leben von "Wee Hanna" zu schildern, einer der einstigen Insassen. Wäre nicht ein Nachbar gewesen, der die Erzählungen der alten Frau vor ihrem Tod in den 20-er Jahren niederzuschrieb, sie wäre ebenso vergessen wie all die anderen, die nichts mehr sind als - Statistiken.

Auf der Weiterfahrt entscheide ich mich für Strecke zum Bloody Foreland. Das ist weit weniger dramatisch als es klingt, die Sonnenuntergänge sollen dort besonders schön anzusehen sein. Das Meer auch, füge ich hinzu, aber wohnen möchte ich dort bei Gott nicht. Das ist im übrigen auch das Land der Pappendeckelschachteln von Wohnwagengröße, in denen dort die Armen wohnen. Natürlich ist das auch ein Teil der Gaeltacht, in der die Leute angeblich untereinander gälisch reden. Die Aufschriften sind es jedenfalls. Erst als ich den Parkplatz eines hübschen, strohgedeckten Cottages verlassen habe, entdecke ich an Hand einer Abbildung, daß es sich um ein Teehaus gehandelt haben dürfte.

Nach Letterkenny zurückgekehrt, gerate ich in samstägliche Betriebsamkeit. Einen Wettlauf behinderter Kinder und Jugendlicher habe ich versäumt, aber sie sind noch unterwegs mit Eltern und Verwandten und ich wundere mich über ihre Fröhlichkeit. Mir ist nicht sehr fröhlich zumute.
Gegen Abend dann Hupkonzerte und die dröhnenden Lautsprecherstimmen aus ganzen Wagenkolonnen. Gemeinde- und Bezirksratswahlen hat es gegeben, Wahlen zum Europäischen Parlament. Im Fersehen am Abend sagen sie dann alle, ohne Ausnahme, sie hätten gewonnen.

 Kann ja wohl nicht sein, oder?
 

 

 

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 ©Peter Lausch/Zuletzt bearbeitet: 20.11.2001