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Keel.
Galway, Dunguaire Castle, Ballyvaughan
17. Juni 1999
Am Morgen weckt mich die Sonne. Draußen ist es still. Der Sturm hat
aufgehört, der Himmel ist blau. Alles schläft, sogar die Kuh neben meinem
Auto.
Ich suche eifrig meine Siebensachen, denn der Slievemore hat sein
Wolkenhäubchen abgelegt, das verlassene Dorf liegt im Sonnenschein. Ich
werde es heute - bei schönem Wetter - nochmals besuchen. Bei der Anfahrt
merke ich zweierlei: einerseits ziehen Wolken auf und die Sonne scheint nur,
wie die Wiener sagen, wässrig. Andererseits besteht das Dorf aus zwei
Ortsteilen, den einen links oberhalb des Friedhofs und einem weiteren,
westlich davon gelegenen Teil, den man auf dem holprigen Fahrweg in 5
Minuten zu Fuß erreicht. Hier stehen mehr Ruinen, sie sind auch besser
erhalten (relativ). Dieser Ortsteil vermittelt daher besser den ehemaligen
Dorfcharakter. Jedes Jahr findet eine archäologische Kampagne statt, an der
man sich beteiligen kann; ich finde prompt eine verlassene Ausgrabung. 2
Kieferteile irgendeines Tieres entdecke sogar ich auf Anhieb dort, denn
natürlich habe ich die Absperrung missachtet.
Langsam fahrend - der Sprung in der Windschutzscheibe ist eine recht
wirkungsvolle Tempobremse - fahre ich sodann nach Newport. Die Hinweise auf
Sehenswürdigkeiten beachte ich nicht, hauptsächlich, weil der schöne Morgen
einem weniger schönen Vormittag vorausgegangen ist. Von Westport aus fahre
ich über die N84 nach Galway. Überall gäbe es Sehenswürdigkeiten vielerlei
Art, von der Abbey von Cong etwa, einem Meisterstück der Renovierung, wo aus
beinahe nichts eine ordentliche Ruine zusammengebaut wurde. Oder, auch in
Cong, das Quiet Man Heritage Cottage. In Cong hat John Ford 1951 einen Film
mit John Wayne und Maureen O´Hara gedreht und man hat das damals als Kulisse
verwendete Cottage rekonstruiert und zu einer Art filmischer Andachtsstätte
gemacht. Das Original ist nämlich eine unscheinbare Ruine, heutzutage. Da
aber nicht einmal ich mit meinem Alter mich an den Film erinnere, 1951 war
ich gerade 10 Jahre alt, wundere ich mich, daß angeblich noch immer sehr
viele Besucher kommen. Sollten Sie aber wissen wollen, wie ein junger John
Wayne und die Maureen O´Hara ausgesehen haben, schauen Sie auf die Website
eines begeisterten Fans der beiden Leute. Ach ja, ein Schlosshotel gibt es
auch in Cong, Ashford Castle. Dazu fällt mir nichts ein, von außen schaut es
wie ein Alptraum eines Zuckerbäckers in Schottland aus, innen wohnen
zeitweilig und abwechselnd verschiedene Geldsäcke, denn das ganze wird als
Hotel betrieben.
In Galway fahre ich, wie ich mir einbilde, einem Impuls folgend, in einem
der zahlreichen Kreisverkehre, in denen es sich dank irischer Fahrkünste
abspielt, ins Stadtzentrum (daß ich die falsche Ausfahrt erwischt habe,
sagen nur Böse). Prompt gelange ich direkt auf den Eyre Sqare, dem Herz der
Stadt. Freie Parkplätze auf der Straße finde ich nicht (auch wäre eine
eigene Parking Disc fällig, die ich mir irgendwo besorgen müßte), daher
parke ich im multi-storey Car Park der Roches Stores hinter dem Platz. Der
Ticketautomat ist natürlich auf der Beifahrerseite meines links gesteuerten
Autos, also muß ich aussteigen und das Ticket abholen. Der Herr im Auto
hinter mir gerät darob ein wenig aus dem Häuschen. Auf dem Platz dann
Menschengewühl, Betrunkene im Stehen und Betrunkene im Herumliegen. Der Weg
zum Spanish Arch am Fluß wird nicht lustig. Die Stadtväter produzieren eine
Fußgängerzone mit neuer Pflasterung und die GalwayerInnen hasten
aufgescheucht in Staub und Dreck durch die Straßen. Überall drönt und
kreischt es. Kyteler´s Inn versteckt sich hinter einer Staubwolke, das
Fenster des Herrn Lynch (Sie wissen schon, der mit der Justiz), ist mit
einem Baugerüst verdeckt und der Spanish Arch wird scheinbar neu gebaut. Nur
in den schreiend bunt bemalten Touristenlokalen mitten drin sitzen wie immer
- Touristen. Zahlreiche Touristinnen aus den USA, erkennbar an Extrembauch
und -busen, mampfen glücklich Pommes Frites und quasseln amerikanisch.
Werden dort die Superdicken schon so gezüchtet?
Im Parkhaus zahle ich dank kurzem Aufenthalt in dieser schönen Stadt nur 0,8
Pfund, bei der Ausfahrt bremse ich diesmal eine Dame ein, aber sie bleibt
damenhaft gelassen.
Während ich nach Kinvara weiterfahre, kommt die Sonne durch die Wolken; als
ich beim Dunguaire Castle ankomme, sind nur ein paar kleine Haufenwolken auf
dem tiefblauen Himmel zu sehen. Auf ins Castle also. An der Kasse beschwert
sich ein Herr aus den USA, von den Zinnen des Turmes herab sei er mit einer
gelblichen Flüssigkeit bespritzt worden, ein Skandal sei das, die Kassierein
verweist auf die Vertragsbedingungen: die Verwaltung trage für das, was
herabtropfe, keinerlei Verantwortung. Ich denke, er muß froh sein, das nur
das herabtropfte. Denn die Löcher im Boden der Galerie auf dem Turm waren
einst dafür bestimmt, siedendes Öl auf Angreifer zu gießen oder sie mit
Pfeilen zu töten. Die sanitären Anlagen im Castle sind nicht leicht zu
finden, weiß ich, aber das sage ich dem Herrn nicht, er würde sich nur noch
mehr aufregen.
Dunguaire Castle ist schön anzusehen von außen. Daß es sich um die Festung
des irischen Königs Guaire handelt, der 662 gestorben ist, ist natürlich ein
Märchen. Übrigens soll Guaire beim Geschenkausteilen so großzügig gewesen
sein, daß davon sein rechter Arm länger wuchs als sein linker, sagt man.
Guaire selbst hielt wahrscheinlich seine Geschenke feil auf dem kleinen
Landvorsprung zwischen der heutigen Burg und dem Ort Kinvara, auf dem ein
Mauerbogen steht, auch nicht von Guaire, sondern von einem späteren Kloster,
aber dafür deutlich sichtbar. Von der Festung Guaires sieht man indessen
wenig, weil hohes Gras und Gestrüpp die niedrigen, heute noch angeblich
sichtbaren Erdwälle verdecken.
Dunguaire Castle muß recht verfallen gewesen sein, als es 1924 von St. John
Gogary gekauft wurde, einem Chirurgen aus Dublin mit literarischen
Neigungen, im übrigen angeblich ein begnadeter Säufer. Der besserte einiges
aus, lud seine Freunde, unter anderem Lady Gregory (die aus Gort) und Yeats
(der mit dem Thor Ballylee) zu Besuch, wohnte selbst aber nie in der Burg.
Das tat indessen eine Lady Ampthill, die das Schloss bewohnbar machte.

Im ersten Stock der
Rittersaal, auch hier gäbe es das obligate Rittermahl, aber in familiärerem
Rahmen als in Bunratty bei Limerick. Darüber dann der nachgestellte
Speisesaal eines Burgherren im Mittelalter, darüber dann der Wohnraum der
Lady Ampthill aus den 50-er Jahren, so wie sie ihn verlassen hat, bis hin
zum alten Radio und zu diversen Schnapsflaschen.
Auf die bunte Geschichte der Burg findet sich in derselben keinerlei
Hinweis, nur im Faltblatt werden sie erwähnt, das ich an der Kasse erhalte.
Am besten schaut die Burg von außen aus, was auch das Eintrittgeld erspart.
Dafür sehen Sie dann natürlich auch den kitschigen Schmuck und die
Ansichtskarten nicht, die im Erdgeschoß bei der Kasse verkauft werden.
Wollen Sie das durchaus dennoch, gehen Sie hinein, fragen Sie nach dem
Eintrittspreis und schauen Sie sich enttäuscht um, ehe Sie wieder gehen,
außer, Sie wollen unbedingt den Wohnraum der Lady sehen.
Das, was Sie sehen, findet sich allerdings auch so ziemlich in jedem anderen
Souvenirgeschäft auf der ganzen Insel Irland gleichermaßen. Wer einen Turm
besteigen will, folgt dem Wegweiser (nach dem Parkplatz) zum Thor Ballylee,
den Yeats restauriert hat, den er gelegentlich bis 1929 auch bewohnte und
der für dessen Verehrer viele wesentliche Erfahrungen mit sich bringt.
Puristen mäkeln allerdings auch am Thor Ballylee herum, denn im Erdgeschoß
hat sich ein Souvenirladen etabliert, der dort allerlei verkauft, was ein
Yeats-Fan unbedingt haben muß, nach Auffassung der Eigentümer. Wenn Sie sich
das alles wegdenken, den Parkplatz ebenfalls, und sich vorstellen, wie es in
den 20-er Jahren gewesen sein muß, werden Sie hoffentlich ebenso beeindruckt
sein wie ich es bei jedem Besuch war: die Stille und Beschaulichkeit sind
überwältigend.
Von Kinvara fahre ich durch den Burren, einer sehr eindrucksvollen
Landschaft aus seltsamen Steinformationen. In der Karstlandschaft des Burren
findet der Botaniker zahlreiche Pflanzenarten, die man hier nicht erwarten
würde, Pflanzen aus dem Mittelmeerraum ebenso wie Alpenpflanzen. Aus denen
kann man gutriechende Parfums erzeugen, auch für Männer, ich weiß es, ich
habe gekauft. Ich bin kein Botaniker, ich finde daher nur einige hübsche
Pflanzen, die ich ohnehin nicht benennen kann, ob sie am Mittelmeer wachsen
oder auf dem Matterhorn, ich weiß es nicht. Ich bin darüber aber nicht
traurig.

Der Kundige findet auch zahlreiche Fundstätten aus der Jungsteinzeit und aus
dem frühen Christentum in Irland. Ich finde zunächst gar nichts, ohne
detaillierte Karte bin ich hilflos. Und Karte im Maßstab von 1:50.000 habe
ich keine, weil in Galway die Karte über den Burren im berühmten Kenny´s
Bookshop (das der Irish Times regelmäßig einen Artikel wert ist), leider
ausgegangen ist. Aber eine Karte von Sligo hätte man. Danke.
Die Abtei von Corcomroe finde ich erst im 3. Anlauf, nach Befragung der
Arbeiter auf einer Baustelle, die sich auch nicht auskennen und nach
eingehendem Studium eines Wegweisers an einer Kreuzung, der scheinbar in die
Richtung weist, aus der ich eben gekommen bin. Aber nein, kein Scherzbold
war am Werk, sondern der Hinweis gilt einem holprigen Fahrweg, den ich dann
entlang fahre.
Dafür habe ich die recht eindrucksvolle Abtei tatsächlich für mich allein,
so wie die Verfasserin der Internet-Seite dem Besucher voraussagt. Bloß bin
ich nicht am Ostersonntag gekommen, und werde daher von den Dörflern nicht
gastfreundlich bewirtet, wie sie ebenfalls schreibt.
Immerhin finde ich auf Anhieb die Kirche von Carran aus dem 15.
Jahrhundert;als ich Richtung Ballyvaughan weiterfahre, komme ich auch zum
Poulnabrone Dolmen, umlagert von einer Schar Touristen wie mir. Ein weiteres
Grab finde ich, weil der Autobus vor mir anhält und eine Schar
amerikanischer Touristen ausspuckt, denen ich über eine Steinmauer folge.
Immerhin habe ich damit von den über 70 derartigen Monumenten ganze zwei
gefunden. Beide Monumente sind archäologisch untersucht worden. Gefunden hat
man die Asche und die Knochen von mehreren Menschen, die zu verschiedenen
Zeiten bestattet worden sind. Allein rund um den Poulnabrone Dolmen fand man
die Überreste von an die 20 Erwachsenen und 6 Kindern, darunter ein
neugeborenes Baby. Diese Toten wurden zwischen 3.800 und 3.200 vor Christus
bestattet. Wo waren da die Germanen?
In
Ballyvaughan angekommen, finde ich auf einer Schautafel bei Hyland´s Hotel
den Namen dieser zweiten Grabstätte, merke ihn mir aber nicht. Dafür finde
ich gegenüber einen der berühmten Wegweiser, die Touristen in hilflose Wesen
verwandeln, wenn man nach rechts und nach links nach Lisdoonvarna fahren
kann.
Auf der Strandpromenade verbringe ich Nachmittag und frühen Abend. Danach
bietet mir eine Dame ein Zimmer an, setzt sich gleich zu mir ins Auto und
schafft an. Ich tue, was sie sagt, das Quartier ist recht angenehm,
stürmische Höhen sind es halt, denn so heißt es.
Natürlich hätte ich auch
vornehmer ruhen können, denn schlafen in einem
Schlosshotel wäre ja zu gewöhnlich |