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Rosses
Point und Carrowmore
8. Juni 1999
Vor dem Frühstück ist es trübe, danach klart es auf. Als ich den Speisesaal
betrete, werden soeben 2 Autobusse mit amerikanischen Touristen angefüllt,
nur die Nachzügler sitzen noch beim Essen, während die anderen auf sie
warten. Autobusreisende sind eigene Menschen, ich würde rasend werden.
Danach sitzen wir dann zu dritt im großen Speisesaal, aber nicht beisammen.
Das Kind, das mich bedient, verliert das Interesse am Dienst, holt sich was
zu essen und setzt sich im Nebenraum zu den anderen Kindern, die sie als
Angestellte verwenden. Schulabgänger mit 14 finden anscheinend alle eine
Anstellung, daher die vielen jungen Mädchen und Burschen, die sich beim
Servieren in Hotels gegenseitig auf die Füße steigen. Mit ernstem Blick und
Bleistift ausgestattet erscheinen sie und nehmen ernsthaft die Bestellungen
zu Protokoll, als gäbe es viel Auswahl. Kaffee oder Tee und Toast und Bacon
und Eggs und Sausages und Tomatoes und Black Pudding (Blutwurst), den aber
nur, wenn Quartier etwas teurer. Alles andere gibt es ohnehin in
Selbstbedienung.
Was soll`s. Diesem Kind ist wichtiger sein eigener Kaffee als mir die Tasse
nachzufüllen.
Ich bleibe eine Weile in der Stadt Sligo, kaufe mir im Booknest an der
Rockwell Parade Bücher und bei Dooney & Son in der O´Connell Street einen
Pullover. Dort sehe ich dann ein Schild "Cybercafe" und sende e-mails in die
Gegend. 2,5 Pfund würde mich die halbe Stunde kosten, kostet mich aber
nichts, weil ich wunschgemäß den englischen Text der Webseite ins Deutsche
übersetze. Klingt einfach, bloß hat eine englische Tastatur keine Umlaute
und auch das @ ist ganz woanders (praktischer). Ich sage es, der Chef ist
zufrieden.
Über Collooney finde ich die Straße nach Salthill (ein gewaltiger Umweg,
aber leider, ich habe mich verfahren) und finde schließlich Carrowmore am
Fuße des Knocknarea. Hier liegt auf relativ kleinem Raum die größte
Ansammlung jungsteinzeitlicher etc. Denkmale in Irland: Ganggräber,
Steinkreise, Cairns, Standing Stones, 4-5000 Jahre alt. Im 19. Jahrhundert
waren es noch gezählte 200 Stück, heute sind noch etwa 70 erhalten. Den Rest
haben die Bauern beseitigt, er war den Traktoren im Weg etc. Vor einigen
Jahren hat der Staat etliche Grundstücke gekauft und gegen Eintrittsgebühr
kann man in der eingezäunten Anlage eine Reihe solcher Artefakte
besichtigen. Die 2 Pfund sind indessen hinausgeworfenes Geld; gegenüber dem
Eingang in einem renovierten Cottage mit Parkplatz sind 2 viel schönere
Cairns zu sehen, 20 Meter Richtung Sligo ein weiterer, sehr wichtiger auf
dem Gelände eines Bauernhofes - gratis.

Dazu muß ich - erlaubt, erlaubt - eine Barriere aus zweckentfremdeten
Eisenbahnschwellen überwinden. Ein Plakat warnt mich, daß ich mich jetzt auf
dem Gelände einer Farm befinde. Vorsicht ist daher geboten, nicht wegen der
friedlich herumliegenden Rindviecher, sondern primär wegen ihrer
Hinterlassenschaften, zahlreich und überall vorzufinden.
Der Steinkreis auf der Wiese hat in der Mitte eine Steinsetzung: drei oder
vier mannshohe Steine sind aufgestellt worden, darüber wurde ein massiver
Steinbrocken gewuchtet. Die Fachleute sagen, dies sei einer der schönsten in
Irland. Zwar könnte unserein so etwas mit einem Caterpillar leicht auch
schaffen. Daher hat das Office of Public Works (OPW) bei jedem echten
Überbleibsel einen Betonklops hinzugesetzt, auf dem in Irisch und in
Englisch sinngemäß dasselbe steht, nämlich, daß es sich hier um ein
nationales Denkmal handle etc. Dieses hier ist archäologisch untersucht
worden, ausgerechnet von schwedischen Wissenschaftlern. In den
Buchhandlungen auf der Rockwood Parade und in der O´Connell Street gibt es
für 2,50 Pfund eine Beschreibung der Fundstellen, ihrer Geschichte und ihrer
Bedeutung von Göran Burenhult. Die Broschure ist zwar dünn, ihr Geld aber
jedenfalls wert.
Die Ausgrabungen haben gezeigt, daß die Cairns offenbar als Grabstätten
gedacht waren, vielfach aber nicht für Einzelpersonen, sondern für ganze
Sippen und Gruppen von Menschen. In einer hat man die Asche von mehr als 50
Menschen begraben gefunden. Nicht geklärt ist, welche Gründe die Menschen
damals bewegt haben, die Asche ihrer Toten mit soviel Aufwand beizusetzen
und warum nur die Asche von so wenigen Menschen? Und vor allem, warum hier,
an einer bestimmten Stelle. Man muß sich bloß umsehen. Sicherlich schaut die
Landschaft heute anders aus als vor 4000 Jahren, aber geändert hat sich der
Bewuchs, nicht das Gelände. Scheinbar zufällig verstreut auf einer Wiese,
einem Hang, liegen die Artefakte. Wer waren diese Menschen? Welche
Kenntnisse vom Naturgeschehen hatten sie? Es gibt recht wilde Theorien.
Keine Kelten, die kamen erst später nach Irland. Sprache, Religion, soziale
Schichtung, alles unbekannt. Zwar gibt es fantasievolle Untersuchungen über
die geografische Ausrichtung einzelner Cairns, auch im Internet, und
Newgrange etwa setzt erstaunliche astronomische Kenntnisse voraus, aber nach
allem, was man weiß, handelte es sich um Jäger und Sammler, die später dann
schon Getreide anbauten. Der zeitliche Ablauf verkompliziert die Sache noch
mehr, denn viele sterbliche Überreste stammen aus viel späterer Zeit. Die
Cairns und Steinkreise wurden als Begräbnisstätten benutzt, weil sie da
waren, ohne daß die späteren Nutzer wohl die wahre Bedeutung kannten, welche
die Erbauer ihnen tausend Jahre vorher beigemessen hatten.
Den Nachmittag verbringe ich am Strand von Rosses Point, nicht badend, nein,
in viele Schichten wärmender Kleidung eingehüllt und im Windschutz einer
Düne und lese ein Buch von Cormac McCarthy. Den kann ich empfehlen. Wenn ich
aufblicke, sehe ich vor mir Coney Island und als ich wieder einmal hinsehe,
strampelt gerade ein Radfahrer über den bei Ebbe befahrbaren Sandstrand in
Richtung Festland.
Ich fahre nach Sligo, überquere den Garavogue, biege gleich danach gleich
rechts zum Bahnhof und Richtung Salthill ab (das ist auch der richtige Weg
nach Carrowmore), fahre aus der Stadt hinaus. Auf halbem Weg nach Salthill
mit seinem Aerport (muß halt alles auf Irisch sein) biege ich bei einem
kleinen Wegweiser zur Insel hin ab und komme an ausgebrannten Autos vorbei
zum Strand: weit draußen geht eine Frau mit Kind Richtung Insel. Da traue
ich mich auch auf den Strand hinaus mit meinem kostbaren Auto und fahre die
2,5 Kilometer auf dem leicht gerippten, festen Sand. Bei Tempo 60 spüre ich
die Sandrippen nicht mehr, bloß in einem - seichten - Wasserpfuhl bespritze
ich mein Auto mit sandigem Salzwasser bis aufs Dach. Heia!
Auf der Insel passiere ich das Haus des ehemaligen Verwalters, das, aller
hölzener Teile entkleidet, seit 30 Jahren als Ruine dasteht. Bei der "Bar"
parke ich das Auto, gehe zum Pier und habe einen schönen Blick auf Rosses
Point, den Benbulben dahinter und den Metal Man in der Bucht, um den sich
viele Geschichten ranken. Der Wirt erzählt mir, es lebe nur mehr eine
Familie ständig auf Coney Island; der Name stamme vom irischen Wort für
Hasen und Coney Island in New York heiße so, weil es der Kapitän des
Schiffes Arethusa aus Sligo im 19. Jahrhundert so getauft habe. Also. Seine
Gattin wundert sich; da fährt einer aus Wien fast 3000 Kilometer und dann
besucht er sie auf Coney Island. Leute gibt´s, denkt sie wohl, aber sie sagt
es nicht.
Auf der Rückfahrt gebe ich auf dem Sandboden der Bucht wiederum Gas, nur die
Wasserpfützen passiere ich langsamer.
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